Reisebericht: Österreichexkursion nach Sankt Paul (11.-14.05.23)

Am 11. Mai war es soweit. 16 Fachexkursionsteilnehmer fuhren um kurz nach 8 Uhr an der Raststätte Hermsdorfer Kreuz los. Von hier aus ging es mit zwei Kleinbussen Richtung Österreich, wo wir nach etwas mehr als acht Stunden im wunderschönen Lavanttal ankamen und freundlichst von Familie Thonhauser in deren Berggasthof empfangen wurden. Das Willkommensgetränk, ein Edelbrand der Lavantaler Mostbirne, überzeugte auch meinen Gaumen, der mit Obstler bisher nicht viel anfangen konnte.

Nach einer erholsamen Nacht und einem stärkenden Frühstück ging es dann zum Kompetenzzentrum Zogglhof in St. Paul. Die Mitbegründer des Vereins „Mostbarkeiten“ Hans Köstinger und Karl Kopp gaben einen Einblick in die Entstehung des Vereins und der Notwendigkeit ein Kompetenzzentrum zu entwickeln um das Wissen rund um die Obstverwertung zu erhalten und weiter zu entwickeln. Ein großes Thema, für das sie seit Jahrzehnten die Konsumenten sensibilisieren, ist der Unterscheid zwischen Essig als handwerklichem Produkt zu Essig aus industrieller Produktion. Denn richtiger Essig wirkt im Körper basisch, beinhaltet eine Menge Vitamine und Spurenelemente und wirkt durch die Essigsäurebakterien verdauungsfördernd und entzündungshemmend, bei äußerer sowie innerer Anwendung. Mittlerweile machen die Mostbarkeiten mit einer ganzen Reihe an verschiedensten Essigen (Apfel, Quitte, Birne, Zwetschge, Aronia, Heidelbeere, Knoblauch, Spargel u.v.m.) mehr als die Hälfte ihres Umsatzes. Der Trend zu handwerklich hergestelltem Essig und zu Fruchtlikören ist ganz klar zu sehen. Aber auch der Frizzante, ein Neuling auf dem Obstweinmarkt, kommt gut an. (Unter Frizzante versteht sich ein trockener Schaumwein mit 10-15 g Restsüße.)

Gleichzeitig zur eigenen Produktion kann man im Kompetenzzentrum Zogglhof verschiedenste flüssige Obstprodukte von circa 25 Familienbetrieben aus der Region verkosten und erwerben. Um diesen gemeinschaftlichen Verkauf zu finanzieren, verbleiben 20% des Umsatzes im Laden. Das Sortiment umfasst Fruchtweine, Säfte, Essig, Fruchtliköre und Brände (Kernobst, Steinobst, fassgereift, sonstige). Ganze Reisebusse spucken interessierte Kauflustige aus, die sich im hauseigenen Obstbaumuseum den geschichtlichen Hintergrund und die technische Entwicklung von Obsternte, Verarbeitung und Lagerung begreiflich machen und sich dann im Hofladen von der Qualität des Handwerks überzeugen können. Viele dieser Flaschen sind mit Bronze, Silber- oder Goldmedaillen ausgezeichnet. Denn der Verein Mostbarkeiten ist auch Veranstalter der Alpen-Adria-Verkostung, die hier jährlich stattfindet. 20-30 professionelle Verkoster beurteilen an drei Tage ca. 1.300 eingereichte Produkte.

Die Fachexkursionsteilnehmer erlernten im Rahmen eines Sensorikseminars die Grundlagen der Verkostung von Apfelweinen, Säften, Bränden und Essigen. Fast jeder Mensch hat ein „starkes“ und ein „schwaches“ Nasenloch. Erst die Verbindung von Mundhöhle zur Nase lässt uns Geschmäcker über süß, sauer, salzig und bitter hinaus wahrnehmen. „Es gibt keinen Menschen, der bei geschlossener Nase und verbundenen Augen Tomatenketchup von Apfelmus unterscheiden kann. Beides hat die gleiche Konsistenz und ist süß.“

Von großer Bedeutung ist der Geruchs- und Geschmackssinn vor allem in der Obstbrennerei. Denn durch die Verkostung wird der Vor- und Nachlauf bestimmt, um diesen vom Mittellauf abzutrennen. Der Vorlauf ist minderwertiger Alkohol, der zum Scheiben putzen taugt. Der Mittellauf ist der erhoffte Qualitätsbrand, der üblicherweise in die Flasche kommt. Der Nachlauf wird gesammelt, ein weiteres Mal destilliert und als neutraler Alkohol z.B. für die Herstellung von Likören benutzt.

Was an der Destillationsanlage des Zogglhofs besonders interessant ist, dass alle Vereinsmitglieder die dortige Anlage benutzen dürfen und somit ihre eigenen Brände herstellen können. Mit Enzymen werden die Aromen, die sich vor allem in stabilen Zellstrukturen der Obstschale verstecken, herausgelöst. Die vergorene Maische wird dann im Brennkessel gebrannt und so der vorhandene Alkohol konzentriert. Die Restmaische, wie auch der anfallende Trester der Obstpressen wird flächig auf den umliegenden Feldern als Flächenkompost verteilt. Im Lavanttal gibt es auf sehr guten Böden noch viele landwirtschaftliche Produzenten. Meistens sind es gemischte Betriebe aus Obstbau, Mast und Mutterkühen, die für Sicherheit bei Ausfällen sorgen. Bei der Betriebsbesichtigung der Familie Kopp konnten wir dies dann auch nochmal mit eigenen Augen sehen. Neben dem „naturbelassenen Zufallsobstbau“ mit jährlich 140 t Obstverarbeitung (davon 20% Lohnmost) und der Gastronomie als Hauptabnehmer setzt die Familie hier auf einen biologischen und einen konventionellen Hühnermastbetrieb, besitzt 40 ha Wald und circa 20 Mutterkühe.

Wir versuchen das Erlebte auf unsere Bedingungen und Verhältnisse zu übertragen: Vielleicht wäre ein Thüringer Streuobstessig ein Ansatzpunkt? Hans Köstinger gab uns mit auf den Weg: „Das, was der Mensch zum Leben braucht, darf nichts kosten. Luxus hingegen kann kosten, was er wolle! Kein Mensch auf der Welt braucht Balsamico, aber jeder will Balsamico auf seinem Salat haben.“ – Na gut, dann also doch Thüringer Balsamico!

Überaus herzlich wurden wir bei Familie Nuard, einer Schafkäserei, emfangen. Am Ende durften wir noch einen Blick auf eine weitere Siebbandpresse und eine Brennanlage auf dem Berggasthof unserer Herberge werfen. Mit jeder Menge neuer Eindrücke, mit Diskussionen und Ideen fuhren wir zurück nach Thüringen. Vielleicht knüpft der ein oder andere Exkursionsteilnehmer an das Thema an. Mit dem Essig- oder Likörseminar im Januar 2024 gäbe es jedenfalls eine gute Weiterbildungsmöglichkeit (https://www.mostbarkeiten.at/events/essigseminar/).

Elias Girbardt, Streuobstnetzwerk Ostthüringen

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